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Grüner Tourismus: Wie Nachhaltigkeit und Profit zusammenpassen

Tessin statt Toskana, Graubünden statt den Balearen – viele Menschen möchten weniger fliegen und stattdessen Ferien in der Schweiz machen. Der Trend zu nachhaltigerem Tourismus hat weitreichende Folgen für Politik und Wirtschaft.

Bei vielen Menschen in der Schweiz stehen Ferien im eigenen Land am höchsten im Kurs. Das legt zumindest eine 2023 publizierte Auswertung von 2.6 Millionen Suchanfragen auf den Portalen e-domizil.ch und hometogo.ch nahe. Demnach sind Graubünden und das Tessin die beliebtesten Ferienorte, noch vor der Toskana, Sardinien oder den Balearen. Einerseits hat die Inflation die Ferien verteuert, andererseits gibt es ein gesteigertes Bewusstsein für Umweltschutz und Natur am Urlaubsort in der Bevölkerung. «Der Wandel hin zu nachhaltigerem Tourismus hat das Potenzial, verschiedene Märkte auf politischer, wirtschaftlicher und sektoraler Ebene zu beeinflussen. Daher können Anleger auf unterschiedlichsten Wegen von dem Trend profitieren», erklärt Hans Selleslagh, Schweiz-Sprecher bei Freedom24. Er schätzt die Marktgrösse des Ökotourismus auf 172.4 Milliarden US-Dollar mit erheblichem Wachstumspotenzial – insbesondere durch den Ausbau nachhaltiger Reiseinfrastrukturen und -dienstleistungen. Freedom24 ist ein internationaler Onlinebroker, der die Investmentplattform Freedom24, betreibt.

Zwischen Absicht und tatsächlichem Verhalten klafft eine Lücke

Trotz der steigenden Nachfrage nach nachhaltigem Reisen klafft allerdings noch eine Lücke zwischen den Absichten der Konsumenten und ihrem tatsächlichen Verhalten. Diese Diskrepanz bietet Chancen für wirtschaftliches Wachstum durch die Entwicklung umweltbewusster Reiseinfrastrukturen und -dienstleistungen. «Im Tourismussektor, der etwa 11% der globalen Emissionen ausmacht, ist der Druck zur Reduktion der Umweltbelastung gross. Viele Unternehmen, darunter Fluggesellschaften, setzen zunehmend auf Nachhaltigkeit als zentrales Geschäftsziel», so Selleslagh.

Um einem zukunftsfähigen Tourismus gerecht zu werden, müssten Reiseunternehmen in grüne Technologien investieren, Kohlenstoffausgleichsprogramme fördern und eng mit Interessensgruppen zusammenarbeiten, propagieret er. Der Übergang zu nachhaltigem Tourismus erfordert laut dem Experten aber ein koordiniertes Engagement von Politik, Wirtschaft aber eben auch den Konsumenten.

Welche Sektoren vom nachhaltigen Reisen am meisten profitieren

In der Schweiz profitieren unterschiedlichste Sektoren von der aktuellen Entwicklung. So etwa Bahnreisen, wo die Schweiz hinsichtlich der Dichte des Netzes und der Häufigkeit der Verbindungen seit Jahren als Vorbild innerhalb Europas gilt. «Die erhöhte Nachfrage nach Bahndienstleistungen wird wahrscheinlich Investitionen in die Eisenbahninfrastruktur und -technologie stimulieren», so Selleslagh. Auch Camping und Outdoor-Ferien würden weiter an Beliebtheit gewinnen, ebenso wie umweltfreundliche Hotels oder Bio-Bauernhöfe, ist Selleslagh überzeugt. Dieser lokale Tourismus profitiere von authentischen Erlebnissen mit der Unterstützung von Betrieben, Restaurants oder Reiseveranstaltern aus der Region.

Die steigende Akzeptanz von Elektrofahrzeugen im privaten Bereich aber auch bei Busunternehmen wie Flixbus erfordere eine erweiterte Ladeinfrastruktur, gibt Selleslagh zu bedenken: «Für Investoren könnten Unternehmen, die in die Bereitstellung von E-Ladestationen und verwandten Dienstleistungen involviert und gut positioniert sind, um von der steigenden Nachfrage zu profitieren, interessant sein.» Dies umfasse Ladenetzbetreiber, Energieunternehmen und Unternehmen, die innovative Lösungen für das Laden zu Hause und in der Öffentlichkeit anbieten.

Steueranreize begünstigen nachhaltige Unternehmen

«Die Politik greift manchmal zu drastischen Massnahmen, um Emissionen zu reduzieren. So hat Frankreich Kurzstreckenflüge verboten, wenn Zugreisen eine Alternative darstellen, und die Niederlande haben die Anzahl der Starts und Landungen am Amsterdamer Flughafen Schiphol begrenzt», führt Selleslagh aus. Da Regierungen zunehmend Massnahmen gegen den Klimawandel priorisierten, sollten Investoren Strategien in Betracht ziehen, die sie auf Veränderungen in diesem Bereich vorbereiteten, rät er: «Umwelt-, Sozial- und Governance, sogenannte ESG-Faktoren, werden immer mehr zu einem wichtigen Bestandteil von Investitionsentscheidungen. Vor diesem Hintergrund können auch Unternehmen im Reise- und Tourismussektor priorisiert werden, die starke Umweltverantwortung, soziales Engagement und effektive Managementpraktiken aufweisen.» Ein Auge sollten Investoren auch auf die Einführung von Umweltsteueranreizen haben. Unternehmen, die in erneuerbare Energien, energieeffiziente Technologien und nachhaltige Verkehrsinfrastruktur investierten, könnten von günstigen Steuerbedingungen profitieren und damit attraktiver werden.

Transformation der Luftfahrt bietet Potenzial

Obwohl viele Menschen die Absicht haben, weniger zu fliegen und nachhaltiger zu reisen, steigt die Zahl der Fluggäste an europäischen Flughäfen derzeit wieder. Die Luftfahrtindustrie steht also vor der Herausforderung, die wachsende Nachfrage nach Flugreisen zu befriedigen und gleichzeitig die Kohlenstoffemissionen zu reduzieren. Einer der vielversprechendsten Bereiche zur Reduzierung von Flugemissionen ist laut dem Experten die Einführung von nachhaltigem Flugkraftstoff (SAF), der aus erneuerbaren Quellen wie Pflanzen oder tierischen Materialien gewonnen wird. «SAF hat das Potenzial, die Treibhausgasemissionen im Vergleich zu herkömmlichem Kerosin erheblich zu reduzieren. Allerdings ist die SAF-Produktion trotz des Potenzials derzeit in ihrem Umfang begrenzt und steht vor Herausforderungen, um die Nachfrage der Luftfahrtindustrie zu decken», weiss Selleslagh.

Für Investoren könnte es spannend sein, Chancen bei Unternehmen zu erkunden, die in die SAF-Produktion, Forschung und Entwicklung involviert sind, sowie bei solchen, die in die Infrastruktur zur Unterstützung der SAF-Einführung investieren. Auf der anderen Seite untersucht der Luftfahrtsektor aktiv technologische Fortschritte zur Verbesserung der Kraftstoffeffizienz und zur Reduzierung von Emissionen. Dazu gehört die Entwicklung kraftstoffeffizienterer Flugzeuge, verbesserter Triebwerksdesigns und sogar die Erforschung elektrisch oder wasserstoffbetriebener Flugzeuge.

Übergang könnte erhebliche Chancen für Investoren bieten

Obwohl sich diese Technologien noch in einem frühen Entwicklungsstadium befinden, bieten sie laut Selleslagh erhebliches Potenzial zur Reduzierung von Kohlenstoffemissionen in der Luftfahrt. Zusammenfassend sagt er, dass grüneres Reisen zwar möglicherweise weniger Flüge bedeute, dies jedoch nicht mit dem Ende des Flugverkehrs gleichzusetzen sei: «Der Fokus liegt stattdessen darauf, die notwendigen Flüge so umweltfreundlich wie möglich zu gestalten, und dieser Übergang könnte erhebliche Chancen für Investoren bieten.»